Am Morgen des 16. März 1968 machte sich eine amerikanische Einheit auf den Weg in ein kleines südvietnamesisches Dorf: My Lai. Innerhalb von vier Stunden brachten sie so gut wie alle Bewohner in einem grauenvollen Exzess um. My Lai ist eine Zäsur; es ist der Höhepunkt eines grausamen Krieges. Erschreckender noch als das Ereignis selbst, ist die Erkenntnis, dass My Lai zwar in seiner zeitlichen Verdichtung einzigartig, ansonsten aber in der Geschichte des Vietnamkrieges nicht ungewöhnlich war. Extreme Gewalt gegen andere wurde in Vietnam alltäglich; nicht einmal die eigenen Soldaten waren voreinander sicher. In diesem Krieg entgrenzte sich die amerikanische Armee vollständig. Sie stellte ihren Soldaten eine Ermächtigung zum willkürlichen Töten aus und versank schlussendlich in einem Strudel aus Disziplinlosigkeit, Gewalttätigkeit, Verbrechen, Drogenmissbrauch und Insubordination.
Mithilfe von Erkenntnissen aus der Sozialpsychologie und der genauen Untersuchung der Umstände, wie die jungen Soldaten in diesen Krieg gerieten, will das Buch zur Klärung der Frage beitragen, wie so eine Entgrenzung möglich werden konnte: Wie wurden aus ganz ‘normalen’ Menschen ‘Massenmörder’? Was trug dazu bei, dass junge Männer zu solchen grausamen Taten fähig waren,
wie sie in Vietnam begangen wurden?
Mehrere Lebensstationen rücken dabei in den Fokus des Interesses: Die Lebensverhältnisse der Jugendlichen nach dem Zweiten Weltkrieg in der ‘victory culture’ mit ihren Helden Audie Murphy und John Wayne. Die Grundausbildung, die ganz wesentlich zu einer körperlichen und auch charakterlichen Veränderung der jungen Männer beitrug. Schlussendlich der Einsatz in Vietnam, der von
Angriffen aus dem Hinterhalt, Sprengfallen, dem Verlust enger Kameraden und allgemein dem Gefühl von Hilflosigkeit angesichts eines unsichtbaren und allgegenwärtigen Feindes geprägt war. Erkenntnisse über all diese Lebensstationen können zur Klärung der ‘Frage des Jahrhunderts’ mit beitragen. Allein sie sind nur ein Teil der menschlichen Disposition, die zu Verbrechen in Kriegen führt. Konformismus, Gruppenzwang, Autorität, Gehorsam und Befehl, Vorurteile und Stereotypen – auch diese menschlichen Verhaltensweisen sind Teil der Antwort auf die Frage und sollen ebenfalls mit einbezogen werden.
Die Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand ist wichtig. Im Irak, genauso wie in Afghanistan sind auch im 21. Jahrhundert Soldaten in Kriege verwickelt, die ähnliche Umstände aufweisen, wie der Krieg in Vietnam. Wir können anhand der Beschäftigung mit der Geschichte viel über die Entgrenzung des Menschen in solchen extremen Situationen lernen und wir sind dazu verpflichtet,
wenn wir Fehler der Vergangenheit in Zukunft vermeiden wollen.
เกี่ยวกับผู้แต่ง
Erik Fischer, M.A., Studium der Geschichtswissenschaft an der Universität Greifswald, Abschluss 2007 als Magister Artium für Geschichte. Derzeit tätig als Dozent für politische Bildung an einer staatlichen Zivildienstschule und als Doktorand der Nordamerikanischen Geschichte an der Universität Bochum.