Der 2. Norddeutsche Archivtag
Es besteht kein Zweifel: In den letzten Jahren hat der Druck auf die Archive erheblich zugenommen, ihre Existenzberechtigung darzulegen. Und kaum ein Archivar und eine Archivarin, der nicht das Wort vom notwendigen Wandel und der unumgänglichen Anpassung an veränderte Anforderungen der Archivträger in den Mund nimmt. Daher wundert es kaum, dass auch auf dem 2. Norddeutschen Archivtag in Schwerin beide Stichworte in vielen Beiträgen im Mittelpunkt standen oder zumindest immer mitklangen. Die gut besuchte Tagung teilte sich in drei Sektionen: Die erste behandelte die Situation der staatlichen und kommunalen Archive im Zuge der allerorten ablaufenden Verwaltungsreform, die zweite unter der General-Überschrift ‘Archivpflege und Projekte’ individuellc Arbeiten und Projekte in einzelnen norddeutschen Archiven, die dritte Sektion schließlich rückte das Thema Bestandserhaltung in den Mittelpunkt. Eine ‘Aktuelle Stunde’ zu rezenten Fragen der archivischen Arbeit und der Landesarchivtag Mecklenburg-Vorpommern rundeten die Versammlung ab.
Auf alle Beiträge kann hier nicht eingegangen werden, eine Auswahl, bezogen auf den engeren nordwestdeutschen (Archiv-)Raum mag genügen: Wo stehen die Archive, und welche Schlussfolgerungen müssen diese aus Sparauflagen, Forderung nach Darlegung ihrer Leistungen und nach Effizienzsteigerung ziehen? Hartmut Weber (Präsident des Bundesarchivs) und Udo Schafer (Leiter des Staatsarchivs Hamburg) gingen auf diese wichtigen Fragen aus unterschiedlicher Perspektive ein, der erste in eher globaler, aber nicht minder aufschlussreicher Betrachtung, der zweite durch Darstellung konkreter Weichenstellungen im Staatsarchiv Hamburg. Das Richtige zu tun ist für die Archive in der heutigen Situation in erster Linie wichtig, in zweiter Linie dies dann auch rationell und kostengünstig umzusetzen, darin stimmten beide zu Recht überein. Schäfer zeigte in seinem Beitrag beispielhaft auf, wie die aus dieser Überlegung zu ziehenden Konsequenzen für die Arbeitsziele eines großen Archivs aussehen können und müssen.
Im Mittelpunkt des Beitrags von Christine van den Heuvel (Hauptstaatsarchiv Hannover) stand das Thema Prioritätenbildung und planvolle Steuerung innerarchivischer Abläufe. Sie stellte das Modell eines Prioritätenrasters für die Bestandserhaltung und Verzeichnungsarbeit der niedersächsischen Staatsarchive vor. Das niedersächsische Modell gibt Lösungswege für zwei wichtige Fragen vor: Was soll angesichts der Massenhaftigkeit geschädigter Archivalien zuerst restauriert, was angesichts einer Vielzahl nur schlecht oder gar nicht erschlossener archivischer Informationen zuerst verzeichnet werden? Welche Schwierigkeiten und Fallstricke die Verwaltungsreform für die Archive bereit hält, ging aus den Beiträgen von Ernst Böhme (Vorsitzender der Vereinigung Niedersächsischer Kommunalarchivare ANKA) über ‘Kommunale Archive als Gewinner der Verwaltungsreform?’ und Karsten Müller-Boysen (Landesarchiv Schleswig-Holstein) nur zu deutlich hervor. Besonders die vielerorts bereits eingeführte Kosten-Leistungsrechnung hält bisher nicht, was sie an Nutzen – bessere Planungs- und Steuerungsmöglichkeiten für die Archivträger und die Archive selbst – versprochen hatte, zumal der Aufwand der Einführung bislang kaum im Verhältnis zu ihrem Ertrag steht, oder anders formuliert: Man hatte es einfacher haben können.
Welche zunehmende und in ihrer Folgewirkung bislang zu wenig beachtete Bedeutung das Thema EDV sowohl für die innerarchivische Arbeit als auch für das Verhältnis der Archive zu ihren ‘Zulieferern’, den zugeordneten Behörden etc., spielt, machte der Beitrag von Rainer Hering (Staatsarchiv Hamburg) über die Einführung digitaler Systeme in der Verwaltung deutlich. Auf diesem Feld wird die Beratungskompetenz der Archivare in den nächsten Jahren stetig (mit-)wachsen müssen, um nicht von aktuellen Entwicklungen in den Verwaltungen überrollt zu werden. Auf EDV-Lösungen, die sowohl die Erschließungsarbeit der Archive als auch die Zugänglichkeit der archivischen Informationen für die ‘Archivkunden’ erleichtern werden, machten Manfred von Boetticher (Hauptstaatsarchiv Hannover), Konrad Elmshäuser (Staatsarchiv Bremen) und die Mitarbeiter am ARIADNE-Verfahren im Land Mecklenburg-Vorpommern anhand konkreter Beispiele aufmerksam – wobei es nicht jedem Referenten gelang, dem Auditorium/Leser seine Fachsprache verständlich zu machen. Matthias Manke (Landeshauptarchiv Schwerin) gab einen interessanten Einblick in die nach der ‘Wende’ radikal veränderten Arbeitsanforderungen in einem Archiv der neuen Bundesländer; Malte Bischoff (Landesarchiv Schleswig) stellte die durchaus erfolgreichen Versuche des Landesarchivs dar, die Archivsituation in den schleswig-holsteinischen Kommunen zu verbessern.
Auch der 2. norddeutsche Archivtag hat mit seiner Mischung aus wichtigen Themen der allgemeinen ‘Archivpolitik’ und Berichten aus der archivischen Alltagsarbeit seinen Nutzen gezeigt, der über das übliche ‘meet and greet-Programm’ vieler Tagungen hinausgeht. Es ist verdienstvoll, dass die Herausgeber die Ergebnisse der Tagung ohne große Verzögerungen vorgelegt haben. Man darf angesichts der Erfahrungen aus zwei norddeutschen Archivtagen (s. auch ZHGJg. 87, 2001, S. 204) daher mit nicht geringer Erwartung auf die Themen der nächsten Zusammenkunft norddeutscher Archivarinnen und Archivare im Jahr 2006 in Lüneburg sehen. Dabei entspräche es sicherlich dem Wunsch vieler Schweriner Teilnehmer, das Tagungsprogramm in Lüneburg etwas übersichtlicher und weniger dicht gedrängt zu gestalten.
Jan Lokers, Stade
aus: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte – Band 90, 2004; S. 161-162.
İçerik tablosu
INHALT
Rainer Hering
Vorwort
Andreas Röpcke
Eröffnung
Manfred Hiltner
Grußwort
Volker Wahl
Grußwort
Sektion 1: Archive und Verwaltungsreform
Hartmut Weber
Archive und Verwaltungsreform
Udo Schäfer
Prioritäten und Posterioritäten
Aspekte der Verwaltungsmodernisierung im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg
Ernst Böhme
Kommunale Archive als Gewinner der Verwaltungsreform?
Carsten Müller-Boysen
Die Darstellung archivischer Fachaufgaben im Rahmen der Kosten-und Leistungsrechnung
Sektion 2: Archivpflege und Projekte
Rainer Hering
Die archivische Begleitung der Einführung digitaler Systeme in der Verwaltung
Matthias Manke
‘Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt?’
Die Behördenbetreuung des Landeshauptarchivs Schwerin seit 1989/90
Rita Rossmann
Zur Situation der Kommunalarchive im Landkreis Bad Doberan
Konrad Elmshäuser
Die Digitalisierung von Bildbeständen im Staatsarchiv Bremen
Manfred von Boetticher
Neue Formen einer benutzerorientierten Suchstrategie
Zum Aufbau eines geografisch ausgerichteten archivischen Internetauftritts
Dirk Alvermann; Stephan Block; Alexander Weidauer
ARIADNE – ARchive Information&ADministration NEtwork
Zum DFG-Projekt ‘Archivverbund Mecklenburg-Vorpommern’
Sektion 3: Bestandserhaltung
Bettina Schleier
Bestandserhaltung – optimale Ergebnisse mit begrenzten Ressourcen erzielen
Christine van den Heuvel
Bestände erhalten und Prioritäten setzen
Forderungen und Folgerungen wirtschaftlicher Archivorganisation
Ein Arbeitsbericht
Aktuelle Stunde
Angela Hartwig
Der Rechtsstreit zwischen der Universität Rostock und Herrn N. N. Verlauf – Ergebnisse – Konsequenzen
Malte Bischoff
Das Beratungsmodell des Landesarchivs
Neue Formen der kommunalen Archivberatung in Schleswig-Holstein
Jutta Briel
Bericht über die Spendenaktion für ein flutgeschädigtes Archiv und das Fortbildungsprojekt des Verbandes schleswig-holsteinischer Kommunalarchivarinnen und -archivare e.V. (VKA)
13. Landesarchivtag Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin am 23. Juni 2003
Jörg Pietrkiewicz
Das Kohl-Urteil und die Novellierung des § 32 Stasi-Unterlagen-Gesetz (St UG)
Dirk Alvermann
Die Änderung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Mecklenburg-Vorpommern und ihre Auswirkungen auf die Arbeit der Archive
Anschriften der Autorinnen und Autoren