Diese Frau war eine ganz und gar ungewöhnliche, sehr selbstbewusste und emanzipierte Frau – Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling. Sie hat ein sehr bewegtes Leben geführt, war dreimal verheiratet, zuletzt von 1803 bis zu ihrem Tode 1809 mit dem Philosophen Friedrich Schelling, die einzige Liebesheirat.
Wie der Autor in einer Vorbemerkung zu seinem Historischen Roman anführt, müsse ein Buch, das von Caroline Michaelis-Böhmer-Schlegel-Schelling erzählt, auch eine lange Reihe mehr oder weniger bekannter Zeitgenossen berühren, die ihr auf unterschiedlichste Weise nahekamen. Wie sie aussehen, sich bewegen, sprechen, denken, fühlen, das kommt, soweit Briefe und andere Zeugnisse nicht eindeutig darüber Auskunft gegeben haben, aus dem Ermessen des Verfassers, der weder die ganze Objektivität einer Biografie anstreben noch die volle Freiheit eines Romans ausschöpfen wollte. Die Erfindung lässt sich von Vermutungen leiten, wo verbürgte Überlieferung stumm oder verschwommen bleibt. Es sind die Vermutungen eines Menschen, der rund zwei Jahrhunderte später lebt, und es bleiben bei aller Einfühlung die eines Mannes. Hier ein kurzer Ausflug in das Jahr 1793, als Caroline auf der Flucht aus der von Preußen eroberten Jakobiner-Republik Mainz verhaftet und festgesetzt wird:
„Visitieren!“, brüllt der Posten. „Name!“
Preußische Soldaten sind hinter den Strohballen hervorgesprungen, umzingeln mit vorgehaltenen Gewehren das Gefährt, zerren den Kutscher vom Bock.
Forkel, Böhmer, zweimal Wedekind.
Der Offizier lässt sich ein abgegriffenes Heft bringen. Auch im winzigen Feldlager eines Vorpostens auf der feindlichen Seite des Rheins funktioniert die Amtsstube. Er leckt bedächtig den Finger an, blättert, schielt zu den Damen, zu den Kindern, blättert, zieht ungeniert Rotz in der Nase hoch, streicht die Schnauzbartenden trocken, hält einen Finger zwischen die Seiten, noch einen.
„Wedekind! Verwandt mit dem Erzklubisten?“
Schon öffnet die alte Sophia Magdalena devot den Mund. Caroline schneidet ihr das Ja ab: „Wir antworten nur einer ordentlichen Amtsperson.“
Der Preuße grinst infam. „Werden wir gleich haben.“ Die Seite aufschlagend, in der sein erster Finger steckt, fasst er Caroline ins Auge: „Böhmer! Frau des Erzklubisten, wat?“
Caroline staunt selbst über die Ruhe, mit der sie trotz pochenden Herzens antwortet, und wird dabei noch ruhiger. Sie sei die Witwe des Bergmedikus Franz Böhmer, vor fünf Jahren in Clausthal gestorben. „Es gibt viele Böhmers. Eine Verwechslung.“
Table of Content
I. DIE UNIVERSITÄTSMAMSELLEN
Kritische Nachbarschaften
Die gescheiten Windbeutel
Männer fordern Opfer
II. MIT TRAUER SEH ICH DEN SCHNEE
Ofenbank und Kindbett
Was man so hört und liest
Der Tod ist ein Pedant
III. EIN SCHLEIER FÄLLT NACH DEM ANDERN
Lorbeer und Reseda
Nur noch ein Kind
Trotz?
IV. KEIN AUGENBLICK GEHT LEER VORÜBER …
Teetisch in Mainz
Schlaflos
Mit Erlaubnis des Bürgers Custine
V. DIE BELAGERTE FREIHEIT
Winter über Freiheitsbäumen
Karneval ohne Maske
Räuberformalitäten
VI. VERGESSEN UND VERGESSEN WERDEN?
Brüderliche Geister
Die Spinnen der Verleumdung
Ein neuer Name
VII. DER ZAUN EINER EHE
Jenaer Kaffeekränzchen
Weimarer Tafelrunden
Ob Romeo und Julie ein Trauerspiel ist …
VIII. FRAGMENTE
Streit mit Göttinnen und Gattinnen
Romantische Elbefahrt
Das Romänchen
IX. EIN ZAUBERKESSEL
Die absolute Freiheit aller Geister
Ich habe doch am Ende mehr Glauben als ihr alle!
Wie ein Schatten auf der Erde
X. ICH WAR DOCH ZUR TREUE GEBOREN
Heimwärts mit dem Hass auf den Fersen
Es liegt ein Druck auf der Welt
Als wäre ich ganz stumm geblieben
NACHSÄTZE
ÜBERSICHT ÜBER CAROLINES LEBEN UND IHRE ZEIT
About the author
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
Lion-Feuchtwanger-Preis, 1985
Stipendiat des Künstlerhauses Wiepersdorf und des Stuttgarter Schriftstellerhauses, 1993