In diesem erhellenden Text geht es um Dionysos und Jesus Christus. Was haben sie gemeinsam? Was unterscheidet sie – aus welchen Gründen? Und was hat kein Geringerer als Friedrich Nietzsche mit ihnen beiden zu tun? Um Antworten auf diese Fragen zu geben, holt Ebersbach weit aus, spricht über das Wesen von Glauben und Autorität:
Religionen sind die Fundamente der Moral. Kein sittliches Gebot hat Macht über die Seelen der Menschen ohne seine Berufung auf eine übermenschliche, göttliche Autorität. Ohne das Göttliche ist Moral immer nur ein Instrument der Macht von Menschen über Menschen. Hat Dionysos eine Moral? Hat Christus eine Moral? Die Frage nach den erlaubten Genüssen, die sie so gegensätzlich erscheinen lässt, ist eine Frage der Güterverteilung, ein Herrschaftsproblem. Alles erlauben ist ebenso einfach wie alles verbieten. Beides ist maßlos, beides verfehlt die beabsichtigte sittliche Wirkung. Beides ist praktisch unmöglich. In der strengsten asketischen Auslegung würde die Nachfolge Christi die Menschheit zum Aussterben verurteilen. Doch auch das allumfassende Bacchnal wäre ihr Ende. Die Verehrung, die den alten Griechen entgegengebracht wird, gilt vor allem ihrem Streben nach einem Ebenmaß im Zusammenleben der Menschen. Ein Name dafür war die Demokratie. Man stelle sich Dionysos und Christus als die beiden Hälften einer einzigen, blutig gespaltenen Gottheit vor, denke sich ihr Zusammenwachsen. Nietzsche, der früh die beiden Gestalten gemeinsame Theodizee formulierte, unterschrieb, als er zerbrach, einen seiner letzten Wahnzettel mit „Dionysos“, einen anderen mit „Der Gekreuzigte“.
Table of Content
1. Traumwelten
2. Ein Kosmopolit
3. Zweimal Erlöserblut
4. Der blutbesudelte Sieg der Sanftmut
About the author
Volker Ebersbach ist am 6. September 1942 in Bernburg/Saale geboren und dort aufgewachsen. Nach Abitur und Schlosserlehre studierte er von 1961 bis 1966 Klassische Philologie und Germanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 1967 promovierte er über den römischen Satiriker Titus Petronius. Danach lehrte er Deutsch als Fremdsprache ab 1967 in Leipzig, 1968 in Bagdad, 1971 bis 1974 an der Universität Budapest, wo er auch mit seiner Familie lebte.
Seit 1976 ist er freier Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber. Er schreibt Erzählungen und Romane, Kurzprosa, Gedichte, Essays, Kinderbücher, Biografien und Anekdoten. Er übersetzte aus dem Lateinischen ausgewählte Werke von Catull, Vergil, Ovid, Petronius, das Waltharilied, Janus Pannonius und Jan Kochanowski. Einzelne Werke wurden ins Slowenische und Koreanische übersetzt.
Von 1997 bis 2002 war er Stadtschreiber in Bernburg. Danach lehrte er bis 2004 an der Universität Leipzig.
Lion-Feuchtwanger-Preis, 1985
Stipendiat des Künstlerhauses Wiepersdorf und des Stuttgarter Schriftstellerhauses, 1993