Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können.
»Herr Baron, hier ist ein Einschreibebrief.« Hellersen, der arbeitend am Schreibtisch saß, nahm der alten Barbe den Brief ab und setzte seinen Namen auf den Zustellungsschein, mit dem die Alte wieder hinausging. Gleichgültig öffnete er das Schreiben; doch schon bei den ersten Zeilen trat ein Ausdruck höchster Überraschung in sein Gesicht. Baron von Hellersen, Verwalter auf Rittergut Lorren, wird gebeten, nach Empfang dieses Schreibens unverweilt nach Waldwinkel zu kommen. Die Aufforderung geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Herrn Leopold von Hellersen, des Besitzers von Waldwinkel, der schwer erkrankt ist. Unten stand der schlecht leserliche Namenszug des Notars. Swen schüttelte zweifelnd den Kopf: Wenn dem Herrn Justizrat da nur nicht ein Irrtum unterlaufen war! Waldwinkel, das sagenumwobene. So konnte man es wohl nennen, weil viele davon sprachen, wenige es jedoch mit eigenen Augen erschaut hatten. Ein wundervoller Besitz sollte dieses Waldwinkel sein, zu dem noch einige Vorwerke und die Güter Jagen und Trollen gehörten. Es war der Stammsitz der Hellersen, der immer auf den erstgeborenen Sohn vererbt wurde. Das war im letzten Falle der verwachsene Leopold von Hellersen gewesen. Seinem jüngeren Bruder Ewald waren das naheliegende Rittergut Hirschhufen und die beiden Nebengüter Wallen und Lutzen als Erbteil zugefallen. Er hatte jedoch ein so verschwenderisches Leben geführt, daß sein Besitz unter den Hammer gekommen war. Sein Bruder Leopold hatte die Familiengüter ersteigert, weil er sie nicht in fremde Hände übergehen lassen wollte. Ewald erschoß sich, und seine Familie, die nun mittellos dastand, wurde von Leopold von Hellersen unterhalten. Er fühlte sich dazu verpflichtet, weil sie seine nächsten Anverwandten waren. Swen von Hellersen entstammte einer entfernten Seitenlinie. Er hatte Leopold von Hellersen nur einmal gesehen und ihn als unfreundlichen, stark verwachsenen und grundhäßlichen Mann in Erinnerung, der einsam auf seinem herrlichen Besitz lebte und nicht einmal seine nächsten Verwandten und Erben um sich duldete. Und da sollte der alte Herr ausgerechnet ihn, Swen, der so entfernt mit ihm verwandt war, daß er eigentlich nur den Namen mit ihm gemein hatte, zu sich rufen?
关于作者
Ihre 70 Romane sind berühmt. Sie werden von einem vielfachen Millionenpublikum gelesen. Leni Behrendt versteht sich wie kaum eine andere in die Herzen der Menschen zu schreiben. Ihr Werk vermittelt unendlich viel Liebe und Güte. Als Schriftstellerin ist sie ein wahres Naturtalent. Mit ihrer bewusst schlichten und damit authentischen Sprache findet sie Anklang und Beifall auch von Seiten der Literaturwissenschaft. Eines ihrer Erfolgsgeheimnisse liegt darin, dass für jeden ihrer mitreißenden Romane Bilder und Begebenheiten aus ihrem eigenen schicksalhaften Leben erwachsen sind.
Als Privatlehrerin gewann die in Insterburg / Ostpreußen geborene Leni Behrendt schon früh einen tiefen Einblick in die adlige Gesellschaft. In vielen ihrer Romane spiegeln sich die Bilder unserer Welt wider. Aus den Erlebnissen stammt die Glaubwürdigkeit ihrer bewundernswerten Moral. Mit großem, sicherem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe, besonders eindrucksvoll schildert sie die liebende Frau.
Die Romane der Leni Behrendt vermitteln die Botschaft einer tiefen Wahrhaftigkeit. Eben dieser Wert ist heute mehr gefragt denn je.