Wissenschaftler haben im 17. Jahrhundert in der Regel einen weitreichenden Briefwechsel geführt. So waren unter den Philosophen etwa Descartes und Leibniz geradezu exzessive Korrespondenten, deren Briefe in ihren später publizierten Werkausgaben großen Raum einnehmen.
Spinozas Korrespondenz sieht hinsichtlich der Qualität der Briefpartner und auch der Zahl der Briefe anders aus: Sie ist, verglichen mit der der beiden anderen Philosophen, von bescheidenem Umfang; nur knapp neunzig Briefe, 38 von Spinoza geschrieben, 50 an ihn gerichtet, sind uns erhalten. Diese geringe Anzahl ist Spinozas gesellschaftlicher Stellung geschuldet. Spinoza war ein Außenseiter, vor allem war er in den Augen der Öffentlichkeit ein gefährlicher Aufrührer, den man eher zu meiden als zu kontaktieren hatte.
Dennoch tragen die meisten Briefe, die vor allem Fragen seiner Korrespondenzpartner zu seiner Philosophie und Spinozas Erläuterungen und Präzisierungen enthalten, zum Verständnis des Werks und von Spinozas philosophischer Entwicklung bei. Darüber hinaus finden sich einige Äußerungen, die es im Werk selbst so nicht gibt, die aber unerlässlich sind für dessen Verständnis.
Die Neuübersetzung sämtlicher überlieferter Briefe von und an Spinoza will deutlich machen, dass die Korrespondenz, trotz einiger sich in ihr findenden eher abseitigen Themen, zum philosophischen Werk Spinozas gehört. Schon die Herausgeber der »Opera Posthuma«, in denen die Briefe zum ersten Mal veröffentlicht wurden und an deren Vorbereitung Spinoza noch beteiligt war, haben sie gleichsam zur Rechtfertigung, sie dort aufzunehmen, als »nicht wenig« zur Erleuchtung (elucidatio) der übrigen Werke beitragend charakterisiert.
Über den Autor
Wolfgang Bartuschat (geboren 1938 in Königsberg, gestorben 2022 in Hamburg) war ein deutscher Philosoph.
Er studierte von 1958 bis 1963 Philosophie, Soziologie und Germanistik in Hamburg, Heidelberg, Wien, Bonn und FU Berlin. Nach der Promotion 1964 in Heidelberg bei Hans-Georg Gadamer mit einer Arbeit über Nietzsche hatte er von 1964 bis 1970 einen Lehrauftrag am Philosophischen Seminar Heidelberg. Von 1966 bis 1969 war er Habilitationsstipendiat der DFG. 1970 wurde er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Hamburg. Nach der Habilitation 1971 in Hamburg mit einer Arbeit über Kants „Kritik der Urteilskraft“ wurde er 1977 Professor für Philosophie an der Universität Hamburg. 1994 lehrte er als Gastprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. 2001 lehrte er als Gastprofessor an der Universität Bordeaux Montaigne. 2002 trat er in den Ruhestand.
Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichte der Philosophie von Descartes bis Hegel, Spinoza und Kant. Er war Übersetzer und Herausgeber der Werke Spinozas in der Philosophischen Bibliothek.