Wie veränderten sich unter der Nazi-Herrschaft Leben und Alltag derer, die verfolgt wurden? Ein außergewöhnliches wissenschaftliches Preisausschreiben der Harvard Universität stellt im Jahr 1939 diese Frage und sammelt über 180, zum Teil umfangreiche autobiographische Manuskripte von Emigrantinnen und Emigranten aus dem nationalsozialistischen Deutschland sowie aus Österreich. Der Korpus ist bis heute weitgehend unerschlossen. Detlef Garz widmet sich in umfassender Weise dem Preisausschreiben und rückt die Lebensgeschichten der Teilnehmenden in den Mittelpunkt: ausführliche Erfahrungen des Lebens vor 1933, das (Er-)Leiden, der Widerstand, die erfolgte Emigration zwischen 1933 und 1939 sowie die Ankunft und Neueinrichtung in den aufnehmenden Ländern. Er errichtet damit ein Fundament, sowohl zur Erschließung der autobiographischen Materialien als auch zum Verständnis exemplarischer Lebensverläufe sowie des Konzepts der (moralischen) Aberkennung.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
Einführung
I. Wie es dazu kam: Wissenschaftliche Preisausschreiben
als Datengrundlage
1. ‚Alte Kämpfer‘: Lebensläufe von ‚Hitler-Deutschen‘ –
die Studie von Theodore Abel
1.1 Zur Rahmung
1.2 Das forschungspraktische Vorgehen
2. ‚Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933‘
oder , An alle, die Deutschland vor und seit Hitler gut kennen‘ –
Die Studie von Gordon Allport, Sidney Fay und Edward Hartshorne
2.1 Zur Rahmung
2.2 Das forschungspraktische Vorgehen
2.3 Die autobiographischen Manuskripte und ihre Verfasser*innen
2.4 Zu den Motiven der Teilnehmer*innen
2.5 An wen gingen die Preise?
II. Ausgewählte Lebensgeschichten
1. Hilde Rosa Stern (1900–1961) – Pflicht und Gerechtigkeit:
‚Es gibt nur eine Moral, die Kampfmoral: für unsere Freunde und
gegen unsere Feinde‘
Kindheit Ι Familie Stern Ι ‚Von der Sekurität in die Insekurität geworfen‘ Ι Schule, Ausbildung, Heirat – Scheidung Ι Ausgrenzung Ι Widerstand Ι Verhaftung, Konzentrationslager Fuhlsbüttel, Untersuchungshaft und Verurteilung wegen ‚Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens‘ Ι ‚Das war mein Vater‘ Ι Der ‚Gerichtstag‘ und die Zeit im Gefängnis: Die ‚Kampfmoral‘ Ι Das Exil: USA (1937–1946): ‚Es waren wirklich schwere Jahre‘ Ι Die ‚Heimkehr‘: DDR
2. Carl Paeschke (1895–1983) – Über das Leben eines mehr und
mehr enttäuschten Sozialdemokraten und dessen Widerstand
gegen den Nationalsozialismus: ‚Wir waren schwach, aber
unsere führenden Männer wussten es nicht‘
Der Gewinn des Ersten Preises Ι Wer war Carl Paeschke? Definition über die Heimat Ι Kindheit und Jugend: Kriescht, Berlin, Vietz: ‚Eine Welt stürzt ein‘ Ι ‚Aber damit sind wir beim Ausbruch des Weltkrieges 1914–1918‘ Ι Eine ‚öffentliche Laufbahn‘ beginnt Ι Als Redakteur ins Eulengebirge Ι ‚Das Hakenkreuz wächst‘ (CP, 41) Ι ‚Ein Volk in Ekstase‘ (CP, 42) Ι ‚Das Attentat‘ Ι Der Prozess Ι ‚Das war mein Abschied von Deutschland‘ Ι Nach der Emigration: Theoretisches Arbeiten und Schweizer Schwierigkeiten (1933–1938) Ι Weitere Schwierigkeiten; jetzt auch der ‚Kampf‘ mit dem Entschädigungsamt Berlin – Heirat – Zurück zur Kunst
3. Rudolfine Menzel (1891–1973) – ‚Rückwärts schauen ist Tod und Erstarrung, vorwärts blicken Glück und Vorbedingung des Erfolgs‘
Kindheit und Jugend in Wien Ι Zionismus: ‚Auf Strammheit legten wir grosses Gewicht‘ Ι Beginn und Abschluss des Studiums – Heirat – Krieg Ι Die Zeit in Linz: die sportliche und wissenschaftliche Beschäftigung mit Hunden Ι Wissenschaftliche Erfolge und Zusammenarbeit mit der Deutschen Reichswehr Ι Die politische Entwicklung in Österreich, Kontakte nach Palästina Ι Die Ausreise: ‚Die Würfel waren gefallen. Alles kam rascher, als wir geglaubt oder geahnt hatten‘ Ι Erfolge in Palästina und Israel: sicherheitspolitische und militärische Aspekte Ι Erfolge in Palästina und Israel: Die Domestizierung des Kanaan-Hundes
4. Alfred Fabian (1897–1950) – Paranmanjang:
‚Das Auf und Ab des Lebens‘
Einleitung Ι ‚In der Schule Qualen, im Elternhaus kein Verständnis‘ (AF, 3) Ι Krieg, Gefangenschaft und Rückkehr nach Deutschland Ι ‚Die Wirren der Nachkriegszeit‘ (AF, 108a) Ι ‚Das Jahr 1927 brachte dann eine Wendung‘ (AF, 115) Ι Verhaftungen, Lager, Entlassung Ι Sein Nachwort: Es geht nach Shanghai Ι Schluss
III. Aberkennungstrilogie
1. Weder Solidarität noch Recht noch Liebe – Grundzüge einer
Moral der Aberkennung
2. Wie wir zu dem werden, was wir sind. Über Anerkennungs- und Aberkennungsprozesse in der sozialisatorischen Interaktion
3. ‚Wenn guten Menschen Böses widerfährt‘ – Über einen Extremfall
von Aberkennung
Schluss
Veröffentlichungen im Anschluss an das wissenschaftliche
Preisausschreiben der Harvard Universität – eine Auswahl
Literatur
Verzeichnis der Abbildungen
Über den Autor
Prof. Dr. Detlef Garz, Seniorprofessor, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Study Group 'Tötungshandlungen im Gesundheitswesen', 'Rekonstruktive Sozialforschung' (2013-2019) am Hanse-Wissenschaftskolleg Institute for Advanced Study, HWK