Die Prostitution von Männern für Männer fand stets im Verborgenen statt – Spuren hat sie vor allem in Gerichtsakten und in strafrechtlichen und sexualwissenschaftlichen Debatten hinterlassen. Hier wurde ausgehandelt, was im Bereich von Männlichkeit und Sexualität als legitim und was als abweichend und damit als pervers oder kriminell galt. Martin Lücke analysiert diese Diskurse, aber auch Aussagen der »Kunden « und Prostituierten vor Gericht. Er schreibt auf diese Weise nicht nur eine Geschichte der Homosexualität, sondern der Männlichkeit überhaupt – die Definition des »Abweichenden« konstruierte zugleich das »Normale«.
Ausgezeichnet mit dem Hedwig-Hintze-Preis des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, 2008
Ausgezeichnet mit dem agpro-Förderpreis 2008
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 11
1. Männliche Prostitution und die relationale Herstellung von Geschlecht: Fragestellung und Erkenntnisinteresse
2. Definitionen: Die männliche Prostitution als Figuration und das Prinzip der Machtbalancen
3. Forschungsfelder
a) Die geschlechtlich-sexuelle Kodierung des Prostitutionsbegriffes
b) Sexualitäten zwischen Diskurs und Erfahrung
c) Männlichkeiten zwischen Hegemonie und Heterogenität
d) Homosexualitäten zwischen Fremd- und Selbstbildern
e) ‚Once the choice has been made‘ – Männliche Prostitution bei Jeffrey Weeks und Kerwin Kaye
I. Essenz und Ekel: Männliche Prostitution und Sexualwissenschaft
1. ‚Wider alle Manneswürde‘: Sexualsubjekte und Liebeskeime bei Karl Heinrich Ulrichs
2. ‚Die gezüchtete, nicht krankhafte Päderastie‘: Die konträre Sexualempfindung bei Richard von Krafft-Ebing und Albert Moll
3. ‚Homosexualität und Pseudo-Homosexualität‘: Sexuelle Identitäten bei Iwan Bloch und Magnus Hirschfeld
4. ‚Von Mund zu Ohr und Auge in Auge‘: Die Prostitutionsstudie von Richard Linsert
II. Erpresser und Verführer: Strafrechtsdebatten um die männliche Prostitution
1. ‚Die immer mehr zunehmende Verteufelung der Strichjungen‘: Rechtsnormen und Strafvorschriften
2. ‚Darüber besteht allgemeines Einverständnis‘: Argumentationsmuster zur Kriminalisierung der männlichen Prostitution
3. ‚Eine der widerwärtigsten Blüten der sogenannten Großstadtkultur‘: Homosexualität und männliche Prostitution im Strafrechtsausschuss des Reichstages
4. ‚Als gemeingefährlicher Erpresser und männlicher Prostituierter bekannt‘: Der Strafprozess gegen Alois Dämon
III. Sorge und Fürsorge: Männliche Prostitution in der Jugendfürsorge der Weimarer Republik
1. ‚Eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Ängste‘: Geschlecht und Sexualität als Themen der Fürsorge-Historiografie
2. Entwicklungen und Strukturen der Zwangs- und Fürsorgeerziehung
3. ‚Das Schlimmste für die Zukunft des Jungen‘: Fürsorgegerichtsbarkeit in Berlin-Charlottenburg
4. ‚Maßnahmen gegen die Homosexualität‘: Das Hamburger Jugendamt und die männliche Prostitution
5. ‚Unter schärfster Nachtbeobachtung‘: Das Problem der Unterbringung und Verwahrung männlicher Prostituierter
IV. Aktivisten und Affären: Der Umgang der Homosexuellen-Bewegung mit der männlichen Prostitution
1. Anders als die Andern und die Verschmelzung von Prostitution und Erpressung im expressionistischen Stummfilm
2. ‚Zur Beseitigung dieser modernen Sumpfpflanze‘: Homosexuellen-Bewegung und männliche Prostitution im Kaiserreich
3. ‚Das vorzüglichste Aufklärungsmittel ist ein anständiges Benehmen‘: Homosexuellen-Bewegung und männliche Prostitution in der Weimarer Republik
4. Eine andere Anständigkeit: Die Politik der Homosexuellen-Bewegung und das (Un-)Sichtbarmachen von Männlichkeit
V. Begehren und Bezahlen: Alltagspolitik und doing gender
1. ‚A kind of pornography of deviance‘: Möglichkeiten des Zugangs zur Alltagsebene der männlichen Prostitution
2. ‚Erst Ekel, dann Gleichgültigkeit‘: Sexuelles Erleben und die Reichweite von sexuellen Identitätskonzepten
3. ‚Schon für 50 Pfennig im Abort des Warenhauses Tietz‘: Die Rolle von Geld und Geldzahlungen
4. ‚Die Möglichkeit zu einem besonders ungenierten Angebot‘: Kommunikation und körperliche Interaktion in der männlichen Prostitution
5. ‚Briefe unter ›knospende Kraft‹ a. d. Redaktion dieser Zeitung‘: Kontaktanzeigen und männliche Prostitution
Schluss: Männlichkeit als Strukturprinzip sozialer Ordnung
Anhang: Fragebogen und Beispielinterviews der Linsert-Enquete
Quellen und Literatur
Über den Autor
Martin Lücke, Dr. phil., ist Professor für Didaktik der Geschichte an der Freien Universität Berlin.