Der Anteil von Frauen im literarischen Feld der 1950er Jahre spiegelt ihr öffentliches Auftreten insgesamt wider – in der ernsthaften Literatur liegt er knapp über zehn Prozent. Dennoch gelten Autorinnen wie Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Marieluise Kaschnitz, Nelly Sachs, Hilde Domin, Christine Lavant oder Oda Schaefer als repräsentativ für die deutschsprachige Literatur dieses Zeitraums. Ihr Erfolg unterliegt dabei der Legendenbildung einer fraglosen und raschen Anerkennung.
Die Beiträge dieses Bandes, die auch Außenseiterinnen und gescheiterte Karrieren thematisieren, kommen zu anderen Ergebnissen: Frauen werden als Mitarbeiterinnen marginalisiert wie im Falle Inge Müllers; einer in Deutschland gebliebenen Vertreterin der Neuen Sachlichkeit wie Ilse Langner misslingt der Anschluss ebenso wie der Remigrantin Paula Ludwig. So sind die Bedingungen weiblichen Schreibens geeignet, die Mechanismen des Buchmarkts insgesamt transparent zu machen. Ergänzt wird der Band durch Untersuchungen zur weiblichen Sozialisation durch Lektüre und zur Frauenrolle im Film am Beispiel von Liselotte Pulver.
Inhaltsverzeichnis
– Editorial
‚Wiederaufnahme‘
– Natalie Lorenz: Literarische Texte von Marieluise Fleißer in den 1950er Jahren
– Monika Melchert: Im Kontrast der Städte Berlin und Paris. Die Schriftstellerin Ilse Langner in den 1950er Jahren
– Monika Bächer: Oda Schaefer (1900-1988) – Elbisches und Orphisches
‚Exil und Heimkehr‘
– Vera Viehöver: ‚Euphorische Heimkehr‘? Hilde Domins Ankunft im Literaturbetrieb der Nachkriegszeit
– Heide Helwig: ‚Heimkehr – fatal!‘ Paula Ludwig (1900-1974)
– Nikolas Immer: Die Durchschmerzung der Welt. Zum lyrischen Werk von Nelly Sachs
– Ulrike Leuschner: Ilse Schneider-Lengyel, die Frau ‚aus dem Anderswo‘
‚Neues Schreiben‘
– Iris Hermann: ‚Mit einer Frage beginnt die Nacht‘: Gedichte und Prosaminiaturen Ilse Aichingers der 1950er Jahre
– Barbara Wiedemann: ‚bis hierher und nicht weiter‘. Ingeborg Bachmann als Lyrikerin im Zeichen Paul Celans
– Gaby Pailer: Revuen der Fassungslosigkeit: Ingeborg Drewitz als Dramatikerin der 1950er Jahre
– Ulrike Böhmel Fichera: ‚Ein rechter Überblick findet sich nicht‘: Marie Luise Kaschnitz‘ ‚Engelsbrücke. Römische Betrachtungen‘ (1955)
– Helga Meise: ‚ein Herz soll es sein, ein einziges unter der Sonne!‘ Herzmetaphorik in Christine Lavants ‚Bettlerschale‘ (1956)
– Sonja Hilzinger: Theater nach Brecht: Inge und Heiner Müller
‚Medien und Rezeption‘
– Hanna Köllhofer: Nur leise Töne im Äther? Aichingers ‚Knöpfe‘ und die Hörspiel-Autorinnen der 1950er Jahre – eine Spurensuche
– Sabine Berthold: Aufbruch im Umbruch. Modernisierung und Mobilisierung in der westdeutschen Mädchenliteratur der 1950er Jahre
– Hiltrud Häntzschel: Lektürememoiren einer Tochter aus mittlerem Hause (1955 bis 1960)
– Annette Keck: Die Komödiantin und der Herrenwitz: Liselotte Pulver im Film der 1950er Jahre
– Die Beiträgerinnen und Beiträger
– Adressenverzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
– Personenregister
Über den Autor
Günter Häntzschel ist em. Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft, LMU München. Bücher u. a. über J. H. Voß, G. A. Bürger, Annette von Droste Hülshoff, Wolfgang Koeppen, Sozialgeschichte der Lyrik des 19. Jahrhunderts.
Sven Hanuschek ist Germanist, Publizist und lehrt Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der LMU München. Bücher u. a. über Heinar Kipphardt, Uwe Johnson, Erich Kästner, Elias Canetti, über Heinrich Heines Lyrik und Laurel & Hardy.
Ulrike Leuschner, Editionsphilologin an der Forschungsstelle Merck der TU Darmstadt. Publikationen zur Literatur des 18. – 20. Jahrhunderts, Herausgeberin des ‚Briefwechsels‘ und der ‚Gesammelten Schriften‘ von J. H. Merck.