Die ‚Unterscheidung der Geister‘ macht es sich zur Aufgabe, die Seelenregungen des Menschen sowie vermeintliche Gnadenerfahrungen auf ihren göttlichen, teuflischen oder natürlichen Ursprung hin zu überprüfen. Obgleich sie bereits in der frühchristlichen Wüstenväterspiritualität präsent ist, gewinnt sie im abendländischen Denken erst seit dem 12. Jahrhundert zunehmend an Relevanz. Besondere Aufmerksamkeit erfährt sie im Kontext der spätmittelalterlichen Ordensreformbewegungen. Vor allem im 15. Jahrhundert entsteht ein ebenso komplexes wie systematisches Unterscheidungsschrifttum, das mittels einer Fülle psychologischer, dogmatischer und moralischer Kriterien zur Evaluation des inneren wie äußeren Menschen anleitet. Der vorliegende Band bietet eine ausführlich kommentierte Edition von sieben volkssprachlichen Traktaten aus dem Kontext der Melker Observanz. Im Zentrum steht die ‚Probate spiritus‘-Kompilation, eine freie Übertragung der wirkmächtigen Schrift ‚De quattuor instinctibus‘ des Erfurter Augustinereremiten Heinrich von Friemar. Die weiteren Traktate greifen die hier behandelten Aspekte in je unterschiedlicher Weise auf und vermitteln so einen Eindruck von der Spannbreite des spätmittelalterlichen Unterscheidungsdiskurses
Circa l’autore
Lydia Wegener, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin.