Nicht Gesten, sondern Gestisches als Vorgang und Prozess, als Disposition und Haltung steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen dieses interdisziplinär angelegten Bands. Damit verschiebt sich die Frage nach der Bedeutung von Gesten auf Fragen der Wahrnehmung, Erforschung und Beschreibbarkeit von Gestischem in unterschiedlichen Kontexten. Die Autor*innen stoßen auf diese Weise inhaltlich wie formal in höchst aktuelle und zudem gesellschaftlich, philosophisch und wissenspolitisch relevante Themenfelder vor.
Die Beiträge aus verschiedenen Künsten und Wissenschaften fokussieren das Gestische als spezifische Perspektive des Forschens. Sie lenken den Blick auf Bereiche, in denen gestische Phänomene bisher noch wenig untersucht oder auch kaum vermutet wurden. In jeweils fachbezogener Weise spüren die Autor*innen Gestischem als einem leibbasierten Modus nach, in dem spezifische Erfahrungen gemacht, Handlungen ermöglicht und Wissenserträge gewonnen werden können. Zugleich machen sie es sich zur Aufgabe, solche Annäherungen in künstlerischer wie wissenschaftlicher Praxis entsprechend zu reflektieren und zu formulieren.
So thematisieren sie Gestisches unter anderem als Movens in der Architektur, als Suchbewegung in performativen Konstellationen, als formales Element von Sprache und Dichtung, als Duktus des Zeichnens, als Figur des Denkens oder als prägende Praxis in Dokumentation und Aufzeichnung. Neben der Untersuchung solcher Gegenstände befassen sich die hier versammelten Autor*innen vor allem auch mit den grundlegenden Konditionen und gestischen Implikationen der forschenden Praxis selbst. Dabei treffen sie nicht zuletzt auf die Frage nach der Forschungshaltung, wie sie sich etwa in der Gestaltung der Beziehung zu den Forschungsgegenständen und den an einem Forschungsprojekt Beteiligten ausprägt.
O autorze
Veronika Darian ist Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig mit den Schwerpunkten Transmedialität und Transkulturalität. Sie forscht und lehrt in den Bereichen Fremdheitsforschung, theaterwissenschaftliche Alter(n)s- und Dingforschung, Biografie und Narration in Theater, Tanz und Performance, Theater in Gesellschaft(en) in Transformation und zu 'Schauplätzen des Eigensinns’. Ausgewählte Publikationen: Mind the Map! – History Is Not Given. A Critical Anthology Based on the Symposium (Mithrsg., revolver 2006); Das Theater der Bildbeschreibung. Sprache, Macht und Bild in Zeiten der Souveränität (Fink 2011); Die Praxis der / des Echo. Zum Theater des Widerhalls (Mithrsg., Lang 2015); zu Modi gestischen Forschens als einer spezifischen Forschungshaltung in Künsten und Wissenschaften: Verhaltene Beredsamkeit? – Politik, Pathos und Philosophie der Gesten (Hrsg., Lang 2009).
Peer de Smit ist Professor em. für Theater im Sozialen mit den Schwerpunkten Regie / Inszenieren, Erzählen / Mitteilen und gestische Forschung. Aktuell leitet er hierzu ein mehrjähriges Forschungsprojekt. Nach Engagements am Schauspielhaus Zürich und deutschen Bühnen begann er seit den 1980er Jahren, Theaterprojekte in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten zu realisieren. Publikationen hat er zu theatertheoretischen, literaturwissenschaftlichen und philosophischen Themen veröffentlicht, darunter 'Mit seinem Dasein zur Sprache gehen’ (in: Ich seh dich so gern sprechen. Sprache im Bezugsfeld von Praxis und Dokumentation, Mithrsg., Lang 2008); 'Main Tenant. Von der Präsenz des Bildes in der Präsenz der Begegnung’ (in: Zeichen setzen im Bild, Sandstein 2012); 'Im Handumdrehen. Formen performativen Wissens. Echo Performance als Dokumentationsformat’ (in: Teilnehmende Beobachtung in den Künstlerischen Therapien, HPB University Press 2019).