‘Die Probleme der Gewalt sind immer noch sehr dunkel’, schrieb Hannah Arendt. Warum sich auch die Soziologie mit den Phänomenen der Gewalt schwer tut, ist eine der zentralen Fragen, mit denen sich Jan Philipp Reemtsma beschäftigt.
Er analysiert, was Vertrauen und vor allem Vertrauen in die Moderne heißt – und in welcher Weise dieses Vertrauen an die besonderen Legitimationsanforderungen gebunden ist, denen der Gebrauch von Gewalt in der Moderne unterworfen ist. Wie kann extreme Destruktivität neben dem modernen Programm der Gewalteinschränkung oder trotz dieses Programms bestehen und warum besteht das Vertrauen in die Moderne ungeachtet der Gewaltexzesse des 20. Jahrunderts fort?
Jan Philipp Reemtsma untersucht die Phänomene der Gewalt in ihrem unterschiedlichen Körperbezug und in ihrem Verhältnis zur Ausübung von Macht, er fragt, aus welchem Grund bestimmte Gewaltformen in der Moderne tabuisiert worden sind, obwohl sie nach wie vor fortbestehen, und in welcher Weise dieses Fortbestehen besondere Wahrnehmungs- und Analyseschwierigkeiten produziert.
Dieser Blick auf die Moderne konkurriert nicht mit anderen, sondern ergänzt sie und bedient sich dabei einer besonderen Beschreibungstechnik. Weiträumige Überblicke über historische, politische, literarische oder philosophische Entwicklungen von der Antike bis in unsere Gegenwart wechseln mit einer Konzentration auf konkrete Ereignisse ab; soziologische Reflexionen und historisches Beispielmaterial werden durch philologische Analysen ergänzt und anhand einer Auseinandersetzung zum Beispiel mit William Shakespeare als einen Theoretiker von Macht und Gewalt oder anhand einer Betrachtung von Friedrich Schillers Konzeption des Desperado im ‘Wilhelm Tell’ verdeutlicht.
Jan Philipp Reemtsma leistet einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der Beziehung, die zwischen Vertrauen, Gewalt und Macht herrscht.
İçerik tablosu
Vorbemerkung
Einleitung: Das Rätsel
Vertrauen und Moderne
Krull im Abteil
Vertrauen
Praxisgestütztes Vertrauen
Vertrauen als Ernstfall – Die Gretchenfrage
Vertrauen und Wir-Konstruktion
Man kann nicht nicht vertrauen
Umorientierung
Träger vormodernen sozialen Vertrauens
Das Problem des Vertrauens in der Moderne
Vertrauen in die Moderne
Macht und Gewalt
Kratos und Bia
Eine Phänomenologie körperlicher Gewalt
Lozierende Gewalt
Raptive Gewalt
Autotelische Gewalt
Reduktion auf den Körper
Psychische Gewalt / Autotelischer Bias
Fragmentierungen; Zerstörung des Ich
Komplemente
Macht – ohne Gewalt
Macht als Sanktionsmacht
Zeitlichkeit der Macht
Gratifikationsmacht, Sanktionsmacht und Gewalt
Der fehlerhafte Gewaltkalkül oder ‘Richard III.’
Konsens als Funktion der Zeitlichkeit
Partizipationsmacht, Vertrauen, Verrechtlichung
Monopol
Delegation
Dynamiken der Entmonopolisierung
Partizipationsmacht und Gewalt
Moderne und Gewalt
Delegitimationen / Relegitimationen
Marsyas
Max bleibt sitzen
Erlaubt, verboten, geboten
Zivilisation und Barbarei
Ich /Mensch
Der Ekel
Shakespeare oder Die Erfindung des gewaltempfindlichen
Gewissens
Beschränkung der Gewalt, Strategien des Vertrauenserhalts:
Temporalisierung /Spatialisierung /Verrätselung
Rhetoriken der Relegitimierung (1) –
Die Rhetorik des Zivilisationsauftrags und die Nation
Die Einhegung des Nationalen
Die Guillotine / Die Geschichte vom Hündchen
Rhetoriken der Relegitimierung (2) –
Rhetorik der eschatologischen Säuberung
Rhetoriken der Relegitimierung (3) – Rhetorik des Genozids
Das Unbehagen in der Moderne
Vertrauen in Gewalt
Gewalt /Vertrauen /Macht: Der Teufel und der kleine Bischof
Auschwitz /Gulag /Hiroshima?
Eskalation der Gewaltmittel
Modernisierung durch Bandenbildung
Entmodernisierung durch Bandenbildung
Terroratio
Macbeth
Warum die Juden?
Es nicht für möglich halten
Vertrauen in Gewalt: Das Personalproblem
Selbstvertrauen in der Gewalt
Gewalt und Kommunikation
Cola Gentile redet
Die Soziologie schweigt
Das Verschwinden des Dritten
Coping (1): Delegitimierung durch Verfahren und
die Ausschließung des Dritten
Coping (2): Das Opfer als Autorität und die Ersetzung
des Dritten
Coping (3): Instrumentelle Deutung und Verleugnung
der Kommunikation
Exkurs: Kleine Theorie der Figur des Desperados oder
Hat Wilhelm Tell eigentlich die Schweiz befreit?
Die Instrumente wieder zeigen?
Angst und Selbstbewusstsein
Polonius’ Testament
Bibliographie
Yazar hakkında
Jan Philipp Reemtsma, Prof. Dr. phil., lebt und arbeitet vorwiegend in Hamburg. Er ist Gründer und Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung sowie der Arno Schmidt Stiftung und Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Hamburg. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher zu literarischen, historischen, politischen und philosophischen Themen veröffentlicht.